Eine Einführungsrede zur Ausstellung "Geknüpfte Malerei" im Kulturforum des FFFZ im November 2016 von Eva Marie Ehrig

 

 

 

Anica Bücker. Geknüpfte Malerei. Ausstellung im FFFZ, 11.11.-16.12.2016

 

Inspiriert durch ein beiläufiges Gespräch mit Picasso und eine Begegnung mit André Breton entsteht 1936 eine Ikone der Kunst des 20. Jahrhunderts. „Le Déjeuner en fourrure / Frühstück im Pelz“. Ein spontaner Einfall, unmittelbar umgesetzt. Die Materialien – Tasse, Untertasse, Kaffeelöffel – sind rasch im nächstbesten Supermarkt eingekauft, das Gazellenfell ist zufällig zur Hand.

 

Die Künstlerin, Meret Oppenheim, wundert sich später über die zahlreichen sehr tiefgreifenden Interpretationen ihrer Pelztasse und erklärt lapidar„Ich fand das nur komisch, eine Tasse mit Pelz“.

 

Geknüpfte Malerei von Anica Bücker. Fell als Werkmaterial. Doch nicht, wie bei Meret Oppenheim im schnellen, spontanen Gestus aufgegriffen und – im positiven Sinne – leichtfertig zur unkonventionellen, surrealen Oberfläche er-hoben. Sondern von der Wurzel bis in die Spitzen hinein erforscht, erprobt und bearbeitet – eingebunden in ein künstlerisches Denken und Arbeiten, das aus dem stetigen Balancieren zwischen Kontrolle und Zufall, Limitation und Intuition, zwischen Regelmaß und freier Entfaltung erwächst.

 

Geknüpfte Malerei. Die Objekte, die Anica Bücker im Rahmen dieser Aus-stellung zeigt, sind alles andere als leicht fertig. Kunstfell – das in der von ihr gewünschten Qualität und Farbigkeit gar nicht leicht zu finden ist, zerschneidet Anica Bücker zunächst in schmale Streifen, die sie dann – einer Entwurfs-skizze folgend – in handwerklicher Kleinstarbeit auf Stramin knüpft. Aus dem banalen künstlichen Fell entsteht gewissermaßen echtes Kunst-Fell.

 

Zerschneiden und erneut verknüpfen: Ein eigentlich seltsamer Umweg, ließen sich die Fellstücke doch kurzerhand zuschneiden und in der gewünschten Komposition arrangieren, aufkleben. Doch es ist gerade dieser Umweg, der das Material letztlich erst in der Gesamtkonzeption verortet: Grundlegend ordnet Anica Bücker das widerspenstige Chaos der Fellstruktur mit jedem Handgriff der strengen Rasterung des netzartigen Stramins unter. Monochrom oder auch Farbe an Farbe in oftmals schrillen Kontrasten. Ein monotoner, fast meditativer, sehr zeitintensiver Prozess, dem die innere Idee standhalten muss. Hält sie nicht Stand, so wird unerbittlich wieder zurückgeknüpft.

 

Feld für Feld entsteht eine zugrundeliegende Verankerung nach geome-trischem System. Für den Moment herrscht eine gewisse gestalterische Kon-trolle, eine gewollte ordentliche Abgrenzung; an der Oberfläche aber wird und darf früher oder später eine natürliche Unordnung zutage treten – spätestens, wenn der Betrachter sich der haptischen Versuchung ergibt und das künstlerisch aufgearbeitete Fell zu eifrig berührt; in jedem Falle aber optisch, wenn die am Grunde verknüpften Fellstreifen auf die Distanz zur malerischen Komposition verschwimmen.

 

Die kunstvollen Gewebe scheinen zu schweben. Tatsächlich aber sind sie fest auf der Leinwand vernäht – auf dieser Ebene wiederum mit höchstem An-spruch an Perfektion. Hier darf nichts schief aufliegen oder gar Falten werfen – obwohl Anica Bücker immer damit rechnet, dass sich die Lebendigkeit des Materials letztlich nicht aufhalten lässt.

 

Das eigenwillige Kunst-Fell relativiert das angelegte Regelmaß, weicht durch seine zufälligen, veränderlichen Ausfransungen und Verwirbelungen die Geo-metrie in alle Richtungen auf. Flächendeckend von Fell überzogen tritt die Leinwand vollkommen zurück oder wird als mehrfach mit Ölfarbe lasierte, matte Fläche zum kontrastierenden Teil der Komposition.

 

Die Elementarformen und ihre Abwandlungen –  Nachfahren des konstruktivistischen Formenkanons – werden im Schaffensprozess genauestens vermessen, setzen sich letztlich aber über ihr eigenes Regelmaß hinweg. Streifen und Vierecke greifen – verstärkt durch die unterschiedliche Florlänge und -dichte der Felle – subtil ineinander, intensivieren einander, verschleiern die ursprünglichen Konstruktionslinien, wandeln sich zu abstrakten unscharfen Farbfeldern mit changierender Tiefenwirkung.

 

Schließlich tauchen – in den aktuellsten Arbeiten – dünne farbintensive Rahmungen der Leinwänden auf, die das Ausgreifen des Fells optisch einfassen, als wollten sie das Objekt doch wieder in die Sphäre der klassischen Tafelmalerei zurückholen. Ein Bild im Bild im Bild. Die Erforschung der Interaktion von Formen und Farbwerten.

 

Geknüpfte Farbfeldmalerei, die dem Betrachter ohne jeden narrativen oder didaktischen Ballast reines Sehen im Raum ermöglicht. Vage Assoziationen mögen die Werktitel auslösen, die als comic relief funktionieren: Manfred, Elfriede usw. Titel, die die lebendige Persönlichkeit und die geschlechtliche Polarisierung einzelner Werke benennen. Besonders aussagekräftig: „Hommage an das Krümmelmonster“ statt steif und fest: „Hommage an das Quadrat“. Humor bricht durch, nicht zuletzt, wenn Anica Bücker manchmal lachend von den „Frisuren“ ihrer Werke spricht.

 

Geknüpfte Malerei. Anica Bückers Arbeiten wirken minimalistisch, sind aber alles andere als leicht fertig. Innerhalb ihres gesamten bisherigen Schaffens könne sie als Schritte in einem ernstlichen, manchmal widersetzlichen gedanklichen Prozess verstanden werden, den die Künstlerin selbst als problemlösendes Denken bezeichnet.

 

Bezeichnend ist, dass sich ihre Faszination für den Werkstoff Fell nicht zuallererst am konkreten, sinnlich erfahrbaren Material entzündete, sondern durch die Betrachtung im Abstrakten: Fellstrukturen fielen ihr ursprünglich bei der Beschäftigung mit dem Linoldruck ins Auge, als sich auf der Papiertextur zebrafellartige Muster abzeichneten.

 

Konsequenterweise machte Anica Bücker das Fell selbst zum Druckstock, walzte es ab, experimentierte mit Zufälligkeiten, Schärfe- und Unschärfe-Phänomenen. Schließlich wurde das Fell selbst zum Bildmaterial. Es ent-standen kissenartige Bilder, deren Fellspitzen sich durch Imprägnieren versteiften und durch Einfärben zu schwebenden Farbebenen wandelten.

 

Die hier gezeigten Werke rücken von einer eindeutigen Zuordnung ab. Sie bewegen sich zwischen Malerei und Objektkunst und bestechen durch die immanente Spannung zwischen Konstruktion und Zufälligkeit, Materialität und Abstraktion, objektiver Sachlichkeit und subjektivem Impetus.

 

Anica Bücker schreitet in ihrem künstlerischen Schaffen abstrakte gestal-terische Möglichkeiten sehr beharrlich und durchdacht ab. Schritt für Schritt, Feld für Feld überprüft sie, ob die spontane gestalterische Idee in der konkreten Umsetzung Bestand hat. Dieser Prozess spiegelt sich in der hand-arbeitlichen Auseinandersetzung mit Farbe und Material wider. Mit einer Konsequenz, die sich nicht in kurzfristigen Gesten erschöpft, sondern in einem fortschreitenden bildnerischen Arbeiten Raum und Zeit für das Unerwartete, Überraschende, Unberechenbare lässt, entstehen Werke, die weder sich selbst noch den Betrachter festlegen wollen und sich gut gelaunt jeder Kate-gorisierung entziehen.

 

 

 

Eva Marie Ehrig, 2016, Wort für Kunst

 

www.wort-fuer-kunst.com